Gut 2.200 Jahre ist es her, dass der Künstler im griechischen Tanagra letzte Hand anlegte an sein Werk – eine anmutig tanzende junge Frau, gefertigt aus Ton. Dieses Handanlegen hinterließ eine deutliche Spur: einen Fingerabdruck – so schön, wie er heutzutage wohl nur in Polizeiakten oder auf dem neuen deutschen Personalausweis auszumachen ist.
Zum Vorschein kam der Fingerabdruck bei der Restaurierung der Terrakotta-Figur „Tanzende Tanagräerin“, die das Deutsche Tanzarchiv Köln unlängst erworben hat.
Zum Ursprungszustand heißt es in der Expertise der Restauratorin, dass der Farbfassungsbestand für das Alter der Skulptur aus dem 2. Jh.v.Chr. ungewöhnlich zusammenhängend und gut erhalten sei.
Dennoch war eine Menge Arbeit notwendig, um die Figur in ihren jetzigen Zustand zu versetzen. So mussten Erdablagerungen und die sehr fest sitzenden Sinterschichten unter dem Mikroskop mit dem Skalpell abgenommen werden, Abhebungen an der Malschicht wurden durch ein Bindemittel wieder mit dem Untergrund verbunden und Abschabungen am Gesicht mit einem neutralen Farbton retuschiert.
Finanziert wurden die Restaurierungsarbeiten von den „Freunden der Tanzkunst“, dem Förderverein des Deutschen Tanzarchivs Köln.
Die Freunde der Tanzkunst am Deutschen Tanzarchiv Köln finanzieren die Restaurierung von Tanzmasken
„Bestürzt stand ich vor den fünfzig holzgeschnittenen Gesichtern. Würden sie sich dem Abstraktionsprozeß einer tänzerischen Durchgestaltung fügen?“
So beschreibt Mary Wigman in ihrem Buch „Die Sprache des Tanzes“ ihre erste Konfrontation mit den Masken für das „Totenmal“. Wigman wirkt bei dieser „Dramatisch-Chorischen Vision für Wort Tanz Licht“ des schweizerischen Regisseurs und Schriftstellers Albert Talhoff als Choreografin und Tänzerin mit. Es ist ein großes, verschiedene künstlerische Kräfte bündelndes Werk, das im Sommer 1930 im Rahmen des 3. Deutschen Tänzerkongresses zum Gedächtnis der im Ersten Weltkrieg Gefallenen in München uraufgeführt wird. Trotz der oft schwierigen Zusammenarbeit unterschiedlicher Künstlerpersönlichkeiten ist Mary Wigman mit dem Ergebnis zufrieden:
„Zu viele und untereinander unausgewogene Kräfte waren eingesetzt, als dass sich Talhoffs Wunschtraum nach dem Gesamtkunstwerk hätte erfüllen können. Trotzdem war das Totenmal ein einmaliger Wurf, eine grandios angelegte Skizze, deren Wirkung man sich nicht entziehen konnte. Der Eindruck des Werkes war und blieb erschütternd. Abend für Abend füllte sich die riesige, eigens für das Totenmal umgebaute Festspielhalle mit Menschen, die zutiefst ergriffen waren. Da gab es jene ehrfurchtgebietenden Augenblicke, in denen, von den Galerien herab, einzelne Sprecher aus den Briefen gefallener Studenten lasen. Augenblicke, in denen man den Atem verhielt und ein lautloses Weinen den Raum zu erfüllen schien.“ (Mary Wigman: Die Sprache des Tanzes. Stuttgart 1963)
Die Masken, jede ein Kunstwerk für sich, unterstützen eindringlich die tragische Wirkung im Totenmal und zwingen Wigman bei der Gestaltung in kreative Prozesse, in die Suche nach einem Weg, den Masken näherzukommen. Schließlich erprobt sie mit ihren Darstellern „‘Meditationsübungen‘. Die Tänzerinnen setzten sich, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, auf den Boden und schauten die auf ihrem Schoß liegenden Masken an: eine Minute – zwei Minuten – fünf Minuten. Es fiel kein Wort. Nur eine leise aufklingende Gongmelodie durchzog den Raum. Am nächsten Abend das gleiche. Nur dass dieses Mal die Tänzerinnen die Masken über das eigenen Gesicht schoben und sie im Bild eines mitgebrachten Spiegels betrachteten. Auf diese Weise machten wir uns Stil und Charakter der Masken allmählich zu eigen.
Dann ging es an das Modellieren der Einzelfiguren. Ich ließ jede der Tänzerinnen auf den großen Spiegel in meinem Arbeitszimmer zutreten, um aufzuzeigen, wo der Missklang zwischen Maske und menschlicher Gestalt zu suchen sei. Ganz besonders deutlich erinnere ich mich an die Trägerin einer Greisinnen-Maske, deren Körperlichkeit dem qualverzerrten, zerfurchten und schon im Erlöschen begriffenen Maskengesicht geradezu Hohn sprach, bis es mit äußerster Behutsamkeit dann gelang, die Altersgebrechlichkeit dem jungen Körper auch in Gang, Haltung und Gebärde aufzuprägen. Eine unendlich mühevolle Detail-Arbeit, bei der es ja nicht nur darum ging, Maske und Maskenträgerin in Einklang miteinander zu bringen, sondern sie – bei Wahrung ihrer individuellen Note – auch stilistisch zu fixieren und zu typisieren. Nur so konnte das Zusammenwirken aller in der chorischen Aussage erreicht werden.“ (Mary Wigman: Die Sprache des Tanzes. Stuttgart 1963)
Es ist den Freunden der Tanzkunst am Deutschen Tanzarchiv Köln zu verdanken, dass nun zwei dieser Masken fachgerecht restauriert werden konnte. Bruno Goldschmitts mit Lackfarbe getönte Masken aus Lindenholz wurden behutsam aufgearbeitet und auf diese Weise optimal ausgestattet, um noch möglichst lange vom „Totenmal“ Zeugnis leisten zu können.
Gleiches gilt für Wigmans Hexentanz-Maske, die Victor Magito um 1926 für sie gefertigt hat. Die Hexentanz-Maske war elementarer Bestandteil eines der berühmtesten Tänze Wigmans – doch anders als bei den Totenmal Masken, die sie nicht selbst getragen hat, musste Wigman ihren ganz eigenen Weg finden, um sie für die Gestalt der Hexe stimmig zu machen:
„… die Maske machte mir Kopfzerbrechen. Ganz im Gegensatz zu der Maske der „zeremoniellen Gestalt“, die in allen Phasen des Tanzes ihre unantastbare Ausdrucksglätte bewahrte, im Gegensatz auch zu den larvenhaft maskierten Figuren des „Totentanzes“, der als Gruppenkomposition später entstand, besaß die Hexentanz-Maske ein Eigenleben. Jede körperliche Bewegung rief einen Wechsel des Gesichtsausdrucks hervor, je nach der Kopfhaltung schienen sich die Augen zu öffnen oder zu schließen, ja, selbst um den doch nur mit ein paar Pinselstrichen aufgesetzten Mund schien manchmal ein Lächeln zu spielen, das in seiner Unergründlichkeit an die Gestalt der Sphinx denken ließ.“ (Mary Wigman: Die Sprache des Tanzes. Stuttgart 1963)
Auch eine der oben genannten, „larvenhaft“ wirkenden Masken aus „Totentanz“ von 1926 wurde durch die finanzielle Unterstützung der Freunde der Tanzkunst vor dem weiteren Verfall bewahrt und so restauriert, das sie sogar schon für eine Ausstellung an das Museum De Lakenhal in Leiden ausgeliehen werden konnte: damit waren Wigmans „Totentanz“ und das Deutsche Tanzarchiv auch weit über die Grenzen Kölns hinaus präsent und machen hoffentlich neugierig auf einen Besuch unserer Institution – im Internet oder direkt vor Ort.
Garnet Schuldt-Hiddemann / im Deutschen Tanzarchiv Köln u.a. zuständig für das Familienarchiv Mary Wigman