Offener Brief des Vorstands an die öffentlichen Einrichtungen der Stadt Köln
Am 30. November 2022 hat die UNESCO die Praxis des Modernen Tanzes in Deutschland in die Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen. Die Weltkulturorganisation würdigt damit eine kreative Ausdrucksform, die den Tanz von Grund auf verändert hat und heute Bühnen wie Tanzausbildung gleichermaßen prägt.
Die Freunde der Tanzkunst am Deutschen Tanzarchiv Köln widmen sich seit 1997 nicht nur der Bewahrung der Geschichte des Tanzes, sondern in vielfältiger Weise auch dem aktuellen Tanzgeschehen der Stadt und ihres Umlandes. Wir nehmen die letztjährige Würdigung des Modernen Tanzes in Deutschland zum Anlass für einen Vorschlag, den Kölner Anteil an dieser großen Tradition in der Nachkriegszeit im Stadtbild sichtbar zu machen.
Wir schlagen deshalb vor, in einem der in Planung befindlichen neuen Stadtviertel Deutzer Hafen und Parkstadt Süd durch einschlägige Straßennamen ein „Tanzquartier Köln“ entstehen zu lassen, das sich durch die alltägliche Nutzung ebenso ins kollektive Stadtgedächtnis einschreibt wie das Dichter- oder das Komponistenviertel und andere. Mit den neuen Erschließungsstraßen und Plätzen bietet sich in den nächsten Jahren so die einmalige Chance, einen signifikanten Aspekt des vielfältigen und Maßstäbe setzenden Kölner Kulturlebens der Nachkriegszeit in die lebendige Gegenwart der Stadt zu integrieren.
Aus verhaltenen Anfängen entwickelte sich Köln seit Mitte der 1960er Jahre des 20. Jahrhunderts geradezu eruptiv zu einem der maßgeblichen europäischen Zentren des modernen Tanzes mit internationaler Strahlkraft. Entscheidend dafür war der geradezu revolutionäre Schritt von Kulturverwaltung und Intendanz der Städtischen Bühnen mit dem Tanz-Forum die erste ausschließlich dem zeitgenössischen Tanz verpflichtete städtische Kompagnie zu etablieren. Die Sommerakademie des Tanzes nebst angeschlossenem Festival und die Etablierung eines Instituts für Bühnentanz an der Rheinischen Musikschule taten ein Übriges, nicht zu vergessen die Etablierung des von Kurt Peters gegründeten Deutschen Tanzarchivs in der Domstadt. Von der Verankerung des Tanzes in der Kölner Bürgergesellschaft zeugen aber auch Handwerksunternehmen wie Ballettschuh Pauls, das seit mehr als 100 Jahren nicht nur Profitänzer, sondern die gesamte Bandbreite des Tanzes als Breitensport ausstattet.
Als geeigneter Ort für das „Tanzquartier Köln“ erscheint uns der Deutzer Hafen, ganz besonders, weil sich dieser neue Stadtteil in unmittelbarer Nähe der Tanzfaktur befindet, die sich in den 15 Jahren ihres Bestehens als wichtiges Zentrum tänzerischer Praxis etabliert hat. Es bietet heute neben abwechslungsreichen Bühnenprogrammen ein breitgefächertes inklusives Angebot an Workshops und Kursen im Geiste des von der UNESCO ausgezeichneten Kulturerbes an. Auf diese Weise könnten sich Erbe und Gegenwart zu einer zukunftsstiftenden Einheit verbinden.
Zwar wird bis zur Fertigstellung des neuen Stadtquartiers noch einige Zeit ins Land gehen, doch sprechen verschiedene Faktoren dafür, mit einer ersten Richtungsentscheidung bereits 2024 vor die städtische Öffentlichkeit zu treten. Entscheidend ist dafür zum einen der 80. Geburtstag des 2012 verstorbenen Gründers und langjährigen künstlerischen Leiters des Tanz-Forums Jochen Ulrich (1979-1999), zum anderen die 60. Wiederkehr der Gründung des Choreografischen Experimentiertheaters, das als Urzelle des Tanz-Forums der Auslöser des Tanzbooms der folgenden Jahrzehnte war. Diesem Aufbruch der jungen Choreografen wird das Deutsche Tanzarchiv Köln seine Jahresausstellung 2024/25 widmen.
Wir fügen diesem Schreiben eine alphabetische Liste von neun Persönlichkeiten bei, die den Tanz und die Tanzszene in Köln in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt haben und uns durch ihre Lebensleistung für die Namensgebung von Straßen und Plätzen des „Tanzquartiers Köln“ geeignet erscheinen. Zentrale Bedeutung haben dabei der Tänzer und Choreograph Jochen Ulrich, der Akademie- und Festivalgründer Heinz Laurenzen, der Gründer des Deutschen Tanzarchivs Kurt Peters und der Kölner Verleger und Publizist Rolf Garske. Ihnen gesellen sich die Kölner Ballettdirektorinnen Emmy Köhler-Richter, Lisa Kretschmar und Gise Furtwängler sowie ihr Vorgänger Karl Bergeest zu, schließlich Tinni Engeln-Bruns, die als Chefin des Kölner Traditionshauses Ballettschuh Pauls Jahrzehnte lang eine der zentralen Persönlichkeiten des Breitentanzes der Stadt war.
Als Freundes- und Unterstützerkreis des Deutschen Tanzarchivs Köln fühlen wir uns der Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Tanzes in all seinen Ausdrucksformen ebenso verpflichtet wie unserer Heimatstadt als kulturelles Oberzentrum in der Mitte Europas. Mit unserer Initiative glauben wir, einer weiterhin fruchtbaren Kölner Tradition historisch angemessene Sichtbarkeit in der Stadttopographie der kommenden Jahrzehnte sichern zu können, die Bewohnern und Besuchern der Stadt diesen strahlkräftigen Aspekt im vielgestaltigen Kulturleben der Stadt lebendig vor Augen zu führen vermag.